Eine Auswahl an Kurzgeschichten, die ich zukünftig auch noch ein wenig ausbauen möchte. Es lohnt sich also ab und zu reinzuschauen was es Neues gibt.

Campingausflug

1-5

An einem späten Nachmittag dieses herrlichen Frühlings bog das schwarze, unauffällige Auto, das schon länger keine Wäsche mehr gesehen hatte, auf den noch wenig belebten Campingplatz ein. Als die junge Fahrerin einen Parkplatz auserkoren hatte, stellte sie den Wagen ab und drehte das Radio lauter. Die Nachrichten hatten gerade begonnen und der Sprecher erzählte mit wenig emotionaler Stimme: „In der Nähe verschiedener Campingplätze hat sich eine Reihe von Morden ereignet. Der oder die Täter lauerten ihren Opfern in schwer einsehbaren Waldabschnitten am Rande auf und töteten sie mit einem Messer. Bisher wurden die Leichen von fünf Personen entdeckt. Die momentan betroffenen Rastplätze befinden sich alle in einem Umkreis von etwa fünfhundert Kilometern ums Altmarkgebiet auf einer beinahe kreisförmigen Linie. Sollten Sie sachdienliche Hinweise für die Polizei haben oder ungewöhnliche Vorkommnisse auf ihrem Campingplatz beobachten, wenden Sie sich bitte umgehend an die Verwaltung des Platzes oder direkt an die zuständige Polizeidirektion. Außerdem wird davor gewarnt, den Campingplatz alleine zu verlassen beziehungsweise allein Waldstücke in der näheren Umgebung zu erkunden…“. Sie drehte das Radio wieder leise und stellte den Motor ab.

Kurz dachte sie über die Nachricht nach, stieg dann aus, streckte sich und sog die klare Frühlingsluft tief ein. Die ruhige Umgebung strahlte eine gewisse Friedlichkeit aus und leise hörte man die Vögel am Waldrand zwitschern. Nachdem sie sich kurz umgesehen hatte, ging sie zum Kofferraum ihres Wagens. Mit wenigen Handgriffen hatte sie die Rücksitzbank zu einer bequemen Schlafmöglichkeit umfunktioniert und breitete nun ihren Schlafsack und eine Decke darauf aus. Schnell war das Nachtlager komplett.

Anschließend absolvierte sie im Licht der langsam niedergehenden Frühlingssonne einen erkundenden Spaziergang über das Gelände. Sobald die Dämmerung hereinbrach, füllte sich der Zeltplatz mit Leben. Ein paar Dauercamper heizten die Grills ein und auf dem ihrem Wagen gegenüberliegenden Parkplatz hatte sich inzwischen ein Wohnwagen breit gemacht. Das ältere Ehepaar stellte gerade einen Tisch und zwei gemütlich wirkende Klappstühle auf als sie zu ihrem Auto zurückkehrte. Mit einem freundlichen Nicken registrierten sie gegenseitig ihre Anwesenheit.

Wenig später hatte auch sie es sich etwas gemütlich gemacht, den Campingkocher am Heck des Wagens aufgestellt und eine Flasche Wein geöffnet. Sie benutze den aufgeklappten Kofferraum ihres Kombis als Sitzgelegenheit und goss sich gerade ein Gläschen ein als der Herr von Gegenüber plötzlich vor ihr stand. „Einen schönen guten Abend. Sind Sie ganz alleine hier?“, begrüßte er sie mit einem freundlichen Lächeln und aufrichtigem Interesse. Sie antwortete: „Ja, ich reise allein. Warum?“ „Ist das nicht ein wenig gefährlich für eine junge Frau?“, wollte er nun wissen. Sie schmunzelte und gab zu: „Gefährlich würde ich nicht gleich sagen, manchmal vielleicht ein wenig einsam, aber genau deshalb mache ich das ja.“ „Ach so.“, sagte er leise, zögerte kurz und bot schließlich an: „Wenn Sie wollen, können Sie sich gern zu uns gesellen. Wir haben den Grill angemacht und meine Frau neigt dazu immer viel zu viel vorzubereiten.“ Sie überlegte kurz, musterte den Mann aufmerksam, der seiner Gattin lieb zuwinkte und entschied: „Ach, was soll’s, vielen Dank für die Einladung. Trinken Sie Wein?“ Er nickte, sie schnappte sich die Flasche und das halbvolle Glas, schloss den Kofferraum und folgte ihm zu seinem Wohnwagen.

Mit einem höflichen Handschlag wurde sie von seiner Frau begrüßt: „Hallo, ich bin die Gerda. Schön, dass Sie mit uns essen wollen, ich habe eine riesige Schüssel Kartoffelsalat gemacht. Ich hoffe Sie mögen Kartoffelsalat.“ „Danke, sehr gern.“, erwiderte sie etwas verlegen. Nachdem Gerda zwei weitere Gläser geholt und sie alle miteinander angestoßen hatten, meinte der Mann: „Ich leg jetzt mal die Steaks auf den Grill.“ „Setzen Sie sich doch.“, bot Gerda nun an und zeigte auf einen Klappstuhl. Dem freundlichen Angebot nachkommend nahm die junge Frau platz.

„Und Sie reisen tatsächlich ganz allein?“, fragte die Dame beinahe beiläufig als sie einen weiteren Teller und Besteck auf den Tisch mit der großblumigen Tischdecke legte. Die junge Frau nickte und erklärte: „Ja, das ist so eine Art Selbstfindungstrip. Ich muss mir über ein paar Dinge in meinem Leben klar werden. Deshalb fahre ich umher, genieße die Freiheit und versuche den Kopf frei zu bekommen.“ „Ach ja.“, seufzte Gerda und erzählte anschließend: „Mein Erwin und ich sind seit vier Jahren Rentner. Da uns allmählich zu Hause die Decke auf den Kopf fiel, haben wir uns dieses Wohnmobil gekauft und machen nun eine ausgedehnte Rundreise.“ „Wie lang sind Sie denn schon unterwegs?“, wollte die junge Frau nun wissen. Gerda setzte sich und antwortete: „Erst zwei Wochen. Wir fahren immer mal einen Tag lang durch und bleiben dann für zwei bis drei auf einem Campingplatz um zu rasten, die Umgebung zu erkunden und nette Leute kennenzulernen. Es ist wirklich sehr interessant, wem man so alles begegnet wenn man ein wenig offen auf Fremde zugeht.“ „Da haben Sie recht.“, erwiderte die junge Frau.

„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte Gerda jetzt. Etwas peinlich berührt antwortete die Gefragte schnell: „Oh Entschuldigung, das war sehr unhöflich von mir. Ich heiße Maria.“ „Sind Sie Studentin?“, kam es von Gerda. „Nein, ich habe eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht, kann mir aber mittlerweile nicht mehr vorstellen mein Leben lang in diesem Beruf zu bleiben. Deshalb habe ich meine Arbeitsstelle gekündigt und fahre nun herum um Eindrücke zu sammeln und mir klar darüber zu werden, in welche Richtung ich gehen möchte.“ Erwin brachte das gegrillte Essen an den Tisch. Er hatte die letzten Sätze der jungen Frau gehört und sprach nun aufmunternd: „Das machen Sie genau richtig. Sie sind noch so jung, da ist es schwierig sich festzulegen. Heutzutage steht Ihnen die ganze Welt offen.“ Er nahm platz und sprach weiter: „Als ich in Ihrem Alter war, mussten wir den Arbeitsplatz nehmen, den wir gerade kriegen konnten und sind dann oft auch dabei geblieben. Das gibt es heute nur noch selten, dass jemand fast sein ganzes Arbeitsleben in ein und demselben Betrieb verbringt.“ „Das kann man doch auch gar nicht mehr vergleichen.“, mischte sich Gerda ein und stellte fest: „Heute ist das eben anders. Die jungen Leute wollen nicht nur arbeiten sondern auch was erleben. Und das können sie zum Glück doch auch. Wir mussten erst Rentner werden um endlich mal den Hintern hoch zu kriegen und unsere vier Wände zu verlassen.“ Lachend klopfte sie ihrem Mann auf die Schulter, der nur mürrisch schmunzelnd zustimmte.

Sie aßen und verbrachten noch ein paar nette Stunden miteinander bis es allmählich Zeit wurde sich schlafen zu legen. Der Campingplatz war nur noch spärlich beleuchtet als Maria zu ihrem Wagen zurückkehrte. Die Nacht war klar und kühl und eine erfrischende Brise raschelte durch die jungen Blätter der Bäume.

 

2-6

Maria hatte sich die Decke bis über den Kopf gezogen um die hellen Strahlen der Morgensonne so lange wie möglich abzuhalten. Vor sich hin dämmernd lauschte sie den Geräuschen des erwachenden Campingplatzes durch den kleinen Fensterspalt, den sie über Nacht offen gelassen hatte. Kurz bevor sie wieder einnickte, klopfte auf einmal jemand vorsichtig an die Scheibe der hinteren Beifahrertür. Etwas genervt zog sie sich die Decke vom Gesicht und beäugte verschlafen den Störenfried. Es handelte sich um eine Frau mittleren Alters in dunkelblauer Uniform. Überrascht setzte sie sich auf und die Polizistin sprach: „Entschuldigen Sie bitte die frühe Störung. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.“ „Was ist denn passiert?“, fragte Maria skeptisch und die Frau antwortete leise: „Im angrenzenden Waldstück wurde heute Morgen von ein paar Spaziergängern die Leiche eines jungen Mannes entdeckt. Jetzt befragen wir alle Leute auf diesem Campingplatz ob sie etwas Ungewöhnliches bemerkt haben.“

Sofort betätigte Maria die Zentralverriegelung des Wagens und kletterte geschwind aus dem Auto. Beunruhigt sah sie sich danach um und erblickte mehrere weitere Polizisten bei der Befragung anderer Camper. „Das ist ja schrecklich.“, murmelte sie dabei. Die Beamtin gab ihr einen Moment um sich zu sammeln und fragte dann höflich: „Haben Sie letzte Nacht vielleicht etwas Merkwürdiges beobachtet oder gehört?“ „Nein, überhaupt nicht.“, erwiderte Maria betreten und gab an: „Ich habe mit den netten Leuten gegenüber zu Abend gegessen, ein Weilchen zusammengesessen, Wein getrunken und dann bin ich Schlafen gegangen.“ „Wie lang sind Sie schon hier auf diesem Campingplatz?“, fragte die Polizistin weiter. „Erst seit gestern Nachmittag.“, erwiderte Maria. „Und wie lange wollen Sie bleiben?“ „Eigentlich wollte ich erst Morgen abreisen aber das überlege ich mir jetzt noch mal.“, antwortete sie verunsichert. Die Polizistin nickte, notierte sich das Autokennzeichen und sprach: „Ich möchte jetzt gern noch Ihre Personalien aufnehmen, falls wir weitere Fragen haben. Ist das in Ordnung?“ „Natürlich.“, sagte Maria und holte ihren Personalausweis.

Während die Polizistin weitere Notizen machte, sah sich die junge Frau noch ein wenig um. Das Ehepaar gegenüber lauschte gerade fassungslos den Ausführungen des Beamten, der sie anschließend ebenfalls befragte. Dann bekam sie ihren Ausweis zurück und verabschiedete die Polizistin mit den Worten: „Leider konnte ich Ihnen nicht weiterhelfen.“

Auf dem gesamten Campingplatz schien sich eine betretene und stumm entsetzt wirkende Stimmung breit zu machen, die ein gewisses Unbehagen verursachte. Maria entschied sich nicht länger zu bleiben und packte ihre Sachen zusammen. Bevor sie aber davon fuhr, schaute sie noch einmal bei dem freundlichen älteren Ehepaar vorbei um sich ordentlich zu verabschieden. Verständnisvoll und etwas traurig nahmen Gerda und Erwin ihre Entscheidung hin und wünschten ihr alles Gute für die weitere Reise. Vielleicht würden sie sich auf einem anderen Campingplatz noch einmal begegnen.

 

3-7

Die warmen Strahlen der Frühlingssonne genießend folgte Maria entspannt den Kurven der Landstraßen. Auf der Autobahn wäre sie natürlich schneller voran gekommen, aber das war nicht der Zweck ihrer Reise. Die Route hatte sie sorgfältig ausgewählt und so geplant, dass sie bis zum Schluss genügend Zeit hatte um alle für sie wichtigen Punkte zu erreichen. Es sollte möglichst kein Stress auf dieser Fahrt entstehen.

So bummelte sie durch verschlafene Städtchen, über abgelegene Waldstraßen und durch verträumte Landschaften, die sonnengeküsst aus ihrem Winterschlaf erwachten. Auf einsamen Aussichtspunkten ließ sie die Natur und ihre belebende Frühlingsstimmung tief auf sich wirken bevor sie sich dazu entschloss einen Parkplatz am Rande eines weitläufigen Sees anzusteuern.

In eine Decke gehüllt saß sie bis in die Dunkelheit hinein am Ufer und beobachtete das Insektenschwirren über der spiegelglatten Wasseroberfläche. Leider war es noch zu kühl um Baden zu gehen.

Nach einer kurzen aber dennoch tiefenentspannten Nacht fuhr sie weiter. Etwas länger als eine Woche war sie inzwischen schon unterwegs und hatte bereits den zweiten Abschnitt ihrer Reiseroute begonnen. Sie fühlte wie sich allmählich die erwünschte innere Ruhe in ihr ausbreitete und sie ihrem Ziel langsam näher kam. Nur noch drei Stationen galt es zu meistern, dann wartete das große Finale.

Sie konnte sich viel Zeit lassen, da die Strecken zwischen den Stopps nicht mehr so lang waren wie zu Beginn, und ausgiebig die unmöglichsten Attraktionen auf ihrem Weg besuchen. Irgendwie würde sie das vermissen.

An ihrem heutigen Tagesziel gab es ebenfalls einen schönen See, der Dank des beinahe schon sommerlich wirkenden Wetters äußerst gut besucht war. Den Nachmittag verbrachte sie deshalb mit einem langgezogenen Spaziergang über das Gelände des angrenzenden Campingplatzes. Erneut hatte sie sich nur für einen Parkplatz ganz in der Nähe entschieden. Sie reiste mit leichtem Gepäck und brauchte nicht jeden Tag die Annehmlichkeiten eines richtig erschlossenen Platzes.

Doch am frühen Abend wurde die friedliche Ruhe des Ortes jäh gestört. Eine ganze Polizeimannschaft lief auf einmal Patrouille und unterhielt sich in kleineren Gruppen mit den gemütlichen Campern. Maria bevorzugte ihnen nicht zu begegnen und spazierte unauffällig immer quer ihrer Richtung bis sich schließlich ein Zusammentreffen mit einem Dreiertrupp nicht mehr vermeiden ließ. Die Beamten hielten sie an und einer erklärte: „Entschuldigen Sie bitte die Störung aber wir müssen davon ausgehen, dass sich in dieser Region ein Serientäter aufhält, der bevorzugt in der Nähe von Campingplätzen zuschlägt. Zuletzt erst etwa einhundert Kilometer nordöstlich von hier. Deshalb möchten wir Sie unbedingt davor warnen alleine im Wald Spazieren zu gehen, vor allem nachts.“ „Ist das der aus dem Radio?“, fragte Maria beunruhigt. „Ja, wir haben mit einer Aufklärungsaktion in sämtlichen Medien begonnen, damit die Leute sensibilisiert werden und die Augen aufhalten. Es ist also sehr wichtig, dass Sie ungewöhnliche Vorkommnisse unbedingt melden.“, sprach der Beamte. „Haben Sie denn schon mehr Informationen über den Täter?“, wollte sie weiter wissen. Bereitwillig gab der Polizist Auskunft: „Bisher leider noch nicht viel. Wenn Sie also etwas Verdächtiges sehen oder hören, melden Sie sich bitte unbedingt unter dieser Nummer.“ Der Beamte überreichte ihr eine Visitenkarte und sprach weiter: „Es wurde inzwischen eine Sonderkommission eingerichtet um effektiver gegen diesen Verbrecher vorgehen zu können.“ Sie nickte mit bedrückter Miene und sah dem sich weiterbewegenden Trupp noch kurz nach. Dann ging sie zurück zu ihrem Auto.

 

4-8

Auch am nächsten Morgen brach sie sehr zeitig auf. Dass die Polizei bereits über die Campingplätze patrouillierte, löste ein mulmiges Gefühl in ihr aus. Immerhin standen nur noch zwei weitere Stationen auf dem Plan bis sie zu ihrem finalen Ziel aufbrechen konnte, nur noch drei Nächte bis zum Ende der Reise.

Entschlossen steuerte sie über die Landstraße. Sie durfte sich von der Polizei nicht aus der hart erkämpften Ruhe bringen lassen und musste einfach weiter machen.

Nach einigen Umwegen und Stopps um die Zeit totzuschlagen, bog sie auf den nächsten Campingplatz ein, der auf ihrer Route lag. Und schon wieder begegnete sie den Hütern des Gesetzes. Dieses Mal klärten sie allerdings nicht nur über die Gefahren des herumstreunenden Serienmörders auf sondern kontrollierten auch die Papiere. Anscheinend tappten sie weiterhin völlig im Dunkeln, was die Identität des Gesuchten betraf. Bereitwillig händigte Maria ihren Ausweis aus.

Nach einem kurzen Check ihrer Personalien durfte sie schon weiterfahren und sich ein lauschiges Plätzchen für ihren Wagen suchen. Trotz des noch immer schönen Wetters und der Friedlichkeit, die solch ein Zeltplatz ausstrahlte, lag eine unruhige Anspannung in der Luft. Um sich etwas davon abzulenken, beschloss sie sich mit ihren Campingnachbarn zu beschäftigen.

Es handelte sich um eine Gruppe Jugendliche, die das Wochenende hier verbringen wollten. Sie hatten ihre Zelte um einen Pavillon herum aufgestellt und waren schon fleißig dabei Bierdosen zu leeren. Maria gesellte sich ohne Schüchternheit zu ihnen und nachdem sie eine attraktive, junge Frau war, wurde sie auch gleich zum Mittrinken eingeladen.

Mit einer Dose in der Hand fragte sie später in die Runde: „Warum genau seid ihr eigentlich hier?“ Einer der Jungs antwortete prompt: „Na um zu feiern!“ Maria lachte und hakte nach: „Aber was wollt ihr denn feiern? Hier ist doch weit und breit nichts.“ Ein anderer antwortete: „Am Sonntag wird nur ein paar Kilometer von hier ein großes Maifeuer gemacht. Da wollen wir hin wandern.“ „Gibt es die nicht überall?“, fragte sie weiter. „Wir kommen ursprünglich alle aus dieser Region und treffen uns ein Mal im Jahr für ein Wochenende auf diesem Campingplatz um ein paar schöne Tage zu verbringen. Sonst sieht man sich ja nie.“, beantwortete er bereitwillig ihre Frage, woraufhin alle ihre Bierdosen erhoben und lauthals „Prost!“ riefen. Wenige Augenblicke später stand plötzlich eine Campingplatzaufsicht neben der Runde und mahnte zur Ruhe. Sofort entschuldigten sich die jungen Leute und gingen ihrer Trinkerei etwas leiser weiter nach.

Maria hielt bis spät in die Nacht hinein tapfer mit, verabschiedete sich dann aber angetrunken zum Schlafen.

 

5-9

Am nächsten Morgen erwachte sie mit einem schweren Kopf. Es war schon fast Mittag. Dank des Katers hatte sie wesentlich länger geschlafen als gewollt. Da es aber eigentlich keinen Grund zur Eile gab, schlenderte sie müde zu den Duschgelegenheiten des Platzes. Ein wenig erfrischendes, kühles Wasser würde sie munter machen.

Als sie dann das gut gepflegte Badehäuschen wieder verließ und sich in Richtung Auto aufmachte, bemerkte sie bereits den leichten Tumult, der über den Zeltplatz brodelte. Etwas war geschehen.

Bei den Jugendlichen nebenan herrschte ebenfalls Katerstimmung, allerdings nicht nur alkoholbedingt. Sie brachte ihre Sachen im Wagen unter und näherte sich vorsichtig. Eine Polizistin unterhielt sich gerade mit einem der Jungs und ein anderer Beamter nahm die Personalien eines weiteren auf.

Ein Dritter stand aufgelöst neben seinem Zelt, seine Augen waren irgendwie glasig und er zitterte leicht. Maria sprach ihn flüsternd an: „Was ist denn passiert?“ Er drehte sich abrupt und etwas erschrocken zu ihr um und stotterte bestürzt: „Basti ist tot.“ „Wie bitte?“, kam es von ihr erschüttert aber dennoch leise. „Ich habe keine Ahnung was der da im Wald eigentlich wollte. Wir wussten doch, dass sich hier einer herumtreibt und Leute umbringt. Aber wer hätte denn gedacht, dass es gerade einen von uns trifft? Das ist so schrecklich!“

Die Polizistin hatte die Aussage des jungen Mannes vollständig aufgenommen und schaute nun in die Runde. Maria erkannte die Beamtin sofort, welche sie aber nur kurz musterte und sich dann wieder ihrem Schreibblock widmete. „Gehören Sie auch zu dieser Gruppe?“, sprach ein anderer Polizist sie auf einmal an. „Nein.“, antwortete Maria aber nur und fügte hinzu: „Ich habe hier nebenan geschlafen.“ „Aber Sie kennen sich?“, bohrte er weiter. Sie schüttelte den Kopf und gab zu: „Nicht wirklich. Ich bin gestern Abend zufällig in ihre Party geraten und wir haben gemeinsam ein paar Bierchen getrunken. Mehr nicht.“ „Haben sie gestern Nacht etwas Ungewöhnliches bemerkt?“ Sie schüttelte erneut den Kopf. „Oder wissen Sie, warum er in den Wald gegangen ist, obwohl er die Gefahr kannte?“ „Ich habe keine Ahnung.“, sagte Maria leise und sah in die traurigen Gesichter der Freunde des Verstorbenen. Sie wusste nicht recht, wie sie damit umgehen sollte.

Mit betretener Miene ging sie später zurück zu ihrem Wagen und packte ihre Sachen zusammen. Doch bevor sie losfahren konnte, stand auf einmal unbemerkt die Polizistin neben ihr. „Ich muss Ihnen noch kurz ein paar Fragen stellen.“ Maria erschrak sichtlich, fasste sich aber schnell und erwiderte: „Ja, in Ordnung.“ „Sie haben also letzte Nacht mit den jungen Leuten nebenan gefeiert?“, wollte die Beamtin wissen. „Das ist richtig. Allerdings bin ich kurz nach Mitternacht zu meinem Auto zurück um mich hinzulegen. Das letzte Bier war wohl schlecht gewesen.“, erklärte Maria und ein leichtes Schmunzeln huschte über ihr Gesicht. „Aha.“, stellte die Polizistin nur unbeeindruckt fest und machte sich ein paar Notizen. „Ihnen ist also nichts Ungewöhnliches aufgefallen?“, fragte sie dann weiter. Maria schüttelte den Kopf. Die Beamtin musterte sie erneut und sprach weiter: „Sie haben also auch keine Ahnung, warum Sebastian das Gelände verlassen hat?“ „Überhaupt nicht.“, antwortete Maria. Es klang überzeugend.

Die Polizistin machte sich noch ein paar Notizen. Dann sah sie die junge Frau noch einmal aufmerksam an und bemerkte plötzlich: „Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor. Kann es sein, dass wir uns vor Kurzem schon einmal begegnet sind?“ Maria verzog fragend das Gesicht und antwortete nach kurzer Überlegung: „Hm, kann schon sein. Vielleicht haben Sie mich in einer allgemeinen Verkehrskontrolle überprüft? Allerdings habe ich auch ein Allerweltsgesicht.“ „Ja vielleicht.“, stellte die Beamtin nachdenklich fest und verabschiedete sich höflich.

Erleichtert stieg Maria daraufhin in ihr Auto und fuhr los.

 

6-10

Der letzte Campingplatz der Reise und damit die vorletzte Station waren erreicht. Maria spürte eine leichte Aufregung bei dem Gedanken. Sie war dem Ziel so nahe und musste sich zur Ruhe zwingen. Sie durfte das Finale nicht durch unüberlegte oder hektische Aktionen gefährden auch wenn die Polizei näher zu kommen schien.

Im Radio lief die Meldung beinahe stündlich, dass ein Serienmörder Campingplätze unsicher mache und die Besucher unbedingt aufmerksam sein sollten. Konkrete Hinweise zu dem Täter oder dem Motiv gab es weiterhin nicht und die Sonderkommission bat offen um die Mithilfe aus der Bevölkerung um diese rätselhafte Mordserie aufklären zu können.

Wenn Maria mit anderen Mitcampern über die Problematik sprach, wirkten diese irgendwie beunruhigt. Denn bisher waren alle Opfer vollkommen willkürlich ausgewählt und ohne einen gemeinsamen Nenner, außer dem Campingvergnügen.

Trotzdem gab es genügend Leichtsinnige, die solche Warnungen großzügig ignorierten.

Die Nacht war kurz und heftig. Ein Gewitter hatte sich zusammengezogen, wodurch Maria bis in die frühen Morgenstunden keinen Schlaf finden konnte.

Erschöpft, nass und etwas schlammig hatte sie sich letztlich in ihren Wagen zurückgezogen, schnell die Klamotten gewechselt und die dreckigen Schuhe in einer Plastiktüte verstaut. Die Sonne kroch gerade erst am Horizont empor und dennoch musste sie jetzt unbedingt aufbrechen auch wenn ihr die Müdigkeit tief in den Knochen steckte.

Als sie im Schritttempo vom Campingplatz fuhr, konnte sie noch den markerschütternden Schrei einer frühen Joggerin hören, der im Wald widerhallte. Einen Augenblick lang stockte ihr Atem, doch sie mahnte sich erneut zur Ruhe und bog gemächlich auf die Landstraße in Richtung ihres heutigen Zieles ab.

 

7-11

Im Herzen des Landschaftsschutzgebietes angekommen, suchte Maria nach dem passenden Fleckchen Erde, auf welchem sie den letzten Tag ihrer Reise verbringen wollte. Im Schatten einer stattlichen Wald- Kiefer ließ sie sich schließlich nieder. Den Ort wählte sie so abgelegen, dass sie wirklich niemand stören würde. Die Nadelbäume verbreiteten unentwegt ihren würzigen Duft, Vögel raschelten durch die dichten Zweige und markierten mit ihrem Gesang das Revier. Maria fühlte sich völlig befreit und wartete mit einer ungewohnten inneren Zufriedenheit auf das Hereinbrechen der Nacht.

Sie hatte alle Stationen ihrer Reise vorbildlich gemeistert, trotz letztlich hohem Polizeiaufgebot nicht die Nerven verloren und es bis zum Schluss durchgezogen. Jetzt fehlte nur noch der letzte Schritt. Beltane rückte in greifbare Nähe.

Der Abend brach herein und der Wald wurde allmählich still. Maria zündete ein paar Windlichter an und stellte diese im Kreis um sich herum auf.

Als die Dunkelheit undurchdringlich wurde und sich mehr und mehr Sterne über dem Himmel ausbreiteten, wurde es Zeit die letzten Züge des Rituals zu beginnen. Maria war gut darauf vorbereitet und hatte alle notwendigen Utensilien dabei, Kerzen, Salz, Wasser, einen Dolch, eine große, silberne Karaffe und was sie im Laufe ihrer Reise in einer verschließbaren Glasflasche gesammelt hatte.

Mit einem angespitzten Eichenzweig zeichnete sie das Tor deutlich in den mit trockenen Nadeln bedeckten Waldboden. Anschließend richtete sie Kerzen nach den Himmelsrichtungen aus und gestaltete einen kleinen Altar am Fuß des Tores.

Mitternacht rückte näher, die Kerzen mussten nun entzündet werden. Den Himmelsrichtungen von Nord nach Ost, von Ost nach Süd, von Süd nach West und zurück nach Norden folgend entflammte sie das flackernde Licht und murmelte unentwegt dabei. Dann kniete sie sich vor den Altar, meditierte kurz und streute danach das Salz in das Wasser.

Jetzt griff sie nach der fest verschlossenen Glasflasche, öffnete sie vorsichtig und goss den leicht dickflüssigen Inhalt in die silberne Karaffe. Wieder meditierte sie einen Augenblick lang. Jetzt wurde es ernst. Mitternacht stand unmittelbar bevor. Maria hielt die scharfkantige Dolchspitze kurz in das gesalzene Wasser und setzte sie anschließend auf ihren rechten Unterarm knapp unterhalb des Handballens und Handgelenkes auf. Sie atmete noch einmal tief durch und ließ die Klinge dann vorsichtig in die Schlagader vorstoßen. Mit unerwarteter Kraft pulsierte ihr Blut plötzlich hinaus in die Nacht und schnell legte sie ihren Arm auf die Karaffe um es zu sammeln. Einige Sekunden später hatte sie genug, wickelte sich eine Stoffbahn um die verletzte Stelle ohne sie wirklich abzudichten und führte ihr Ritual zügig fort, da sie ab jetzt nur noch begrenzte Zeit zur Verfügung hatte.

Das Blutgemisch goss sie nun mit dem Salzwasser auf bis die Karaffe randvoll war. Danach stand sie auf und widmete sich dem gezeichneten Tor. Ihr war schon leicht schwindlig, ihr Blut durchdrang bereits die Stoffbahn und tropfte auf den Boden. Tapfer hielt sie den Krug mit beiden Händen vor sich und sprach: „Ich bin über fünf Berge und durch fünf Täler geschritten und stehe jetzt vor dem siebenten Tor. Elf Seelen halte ich in meinen Händen und es ist der dreizehnte Mond seit Beginn meines Rituals.“ Sie begann nun die Linien der Zeichnung auf dem Boden mit dem Blut- Salzwassergemisch aus der Karaffe nachzuziehen. Es erforderte ihre volle Konzentration.

Als sie fertig war, stellte sie den Krug zurück auf den Altar und begab sich in die Mitte der Torzeichnung. Mit erhobenen Armen rief sie dann: „IA DUK! IA ANDARRA! IA ZI BATTU BA ALLU! BEL ZI ECHA ECHA! AZZAGBAT! BAZZAGBARRONIOSCH!“ Kurz musste sie sich nun sammeln bevor sie die Formel vollendete: „Y’AI ’NG’NGAH, YOG- SOTHOTH H’EE – L’GEB F’AI THRODOG!“ Und zum Schluss schrie sie: „ZELIG! UAAAH!“

Ein Blitzschlag zuckte über den sternenklaren Himmel, gefolgt von tiefem Donnergrollen. Maria brach abrupt auf dem Tor zusammen.

 

8

Völlig überraschend für die Polizei brach die Camping- Mordserie plötzlich ab. Erst Tage später entdeckten Wanderer zufällig die Stelle im Wald, an welcher Maria ihr Ritual abgehalten hatte.

Die Kerzen waren längst erloschen und das Wassergemisch im Boden versickert. Nur das eingetrocknete Blut auf dem Dolch, in der Glasflasche und den fleckigen Kleidungsstücken, die mitten auf dem gezeichneten Tor lagen, ließen erahnen was hier geschehen war. Wenngleich niemand jemals das Rätsel zu lösen vermögen würde.