Psychografie

Leseprobe

In zarten Kerzenschein gehüllt, wartete er auf ihre Ankunft. Erschöpft von der Arbeit, stolperte sie in das Haus. Trotz seines guten Verdienstes, hatte sie ihren Job nicht aufgeben wollen. Zu wichtig war ihr diese Arbeit mit den Kindern. Doch je öfter sie die anderen Familien mit ihren Sprösslingen sah, desto stärker wurde ihr Wunsch nach eigenem Nachwuchs. Sie hatten bisher alles probiert, doch ohne Erfolg. Das Kinderkriegen war ihnen einfach verwehrt geblieben.

Sie ging ins Wohnzimmer und wollte das Licht anschalten, doch der Schalter funktionierte nicht. Mehrfach klickte sie hoch und runter, aber nichts tat sich. Innerlich resignierte sie jetzt schon und seufzte gestresst. Jeffrey saß auf dem Sofa. Er hatte alle Gardinen zugezogen und offenbarte ihr nun: „Ich habe die Sicherungen raus genommen.“ Ihr fuhr es durch alle Knochen. Sie hatte ihn erst gar nicht gesehen und war sichtlich erschrocken, als seine Stimme ertönte. Verblüfft, aber angenehm überrascht, konterte sie sogleich: „Hast du mich erschreckt! Was wird denn das jetzt? Willst du es uns irgendwie gemütlich machen?“ „Ja, ich habe alles vorbereitet, meine Liebe.“, sagte er schmeichelnd und erhob sich von der Couch. Zärtlich strich er ihr die Jacke von den Schultern und küsste ihren Nacken. Eine leichte Gänsehaut machte sich auf ihren Armen breit. Dann umarmte er sie anschmiegsam und drückte liebevoll seine Lippen auf die ihren. Sie konnte sich kaum erinnern, wann er sie das letzte Mal so leidenschaftlich geküsst hatte. „Lass uns ins Schlafzimmer gehen.“, schlug er dann flüsternd vor. Sie musste kichern, kam sich fast vor, als würde sie etwas Verbotenes tun, folgte ihm aber schnell, die Treppe empor, nach.

Er hatte sich wirklich Mühe gegeben. Überall in dem Raum lagen Blütenblätter und unzählige Kerzen tauchten das Zimmer in einen abstrakten, flackernden Schein. So viel Romantik hatte sie ihm gar nicht zugetraut. Aber dieser Mann war eben immer wieder für eine Überraschung gut. Er hielt ihr ein Glas Wein vor die Nase und sagte sanft: „Ein guter Tropfen für meine Lady?“ Lächelnd nahm sie das Glas entgegen und gönnte sich einen großen Schluck daraus. Dann fragte sie interessiert: „Und nun? Willst du mich verführen?“ Vorsichtig griff er nach ihrem Weinglas und stellte es auf einer Kommode ab. Danach kam er langsam auf sie zu, umschlang sie leidenschaftlich und zog sie mit sich auf das Bett. Die Lust, die sie nun verspürte, war schon lange nicht mehr entfacht worden. Seine Küsse waren überall auf ihrem Körper, als er ihr ein Kleidungsstück nach dem anderen entriss. Endlich ließ er sie wieder spüren, dass sie eine Frau war. Zärtlich strich seine Zunge über ihre Pfirsichhaut. Dann schmiegte er sich ganz nah an sie. Seine Bewegungen versetzten sie fast in Ekstase, als er sie hingebungsvoll liebte. Sie ließ sich völlig gehen und auch er schien es richtig zu genießen, ihren Körper in einem Akt der Leidenschaft zu berühren. Wie oft hatten sie in letzter Zeit Sex gehabt, der einfach nur die mechanischen Abläufe innehielt, aber weiter nichts? Sie wälzten sich über das Bett, doch plötzlich hielt er inne.

Auf ihr liegend, seine Arme stützten seinen Oberkörper, sah er sie ernst an und fragte: „Willst du mich glücklich machen und mir ein Kind schenken, egal was passieren mag?“ Etwas war sie von dieser Frage irritiert, hauchte aber eine Antwort: „Du weißt, dass das mein größter Wunsch ist. Also ja, lass es uns tun!“ Er kniete sich vor das Bett und zog sie an sich heran, damit er die Hände frei hatte, bevor sie sich weiter einander hingaben. Die Sekunden schienen auf einmal still zu stehen, als sie sich ihrem Höhepunkt näherten. Jeffrey hatte sich die ganze letzte Woche auf diesen Augenblick vorbereitet und jetzt sprach er laut und deutlich aus: „Ich rufe dich Allmächtiger, erhöre meine Bitte und schenke ihr dieses Kind! Nimm dafür mein Leben als Dank und Zoll. So soll sich mein Schicksal erfüllen und ich werde dir dienen, ewiglich!“ Gleichzeitig griff er nach einem Messer, welches er unter dem Bett deponiert hatte und hob es über seinen Kopf. Erst wusste Doreen gar nicht, wie ihr geschah. Seine Worte hatten sie völlig aus der Bahn geworfen und als sie die Klinge sah, schlugen ihre amourösen Gefühle schlagartig in Panik um. Aber Jeff hatte nicht vor, ihr etwas zu tun, im Gegenteil, er würde sich ihr schenken, komplett mit Haut und Haaren. Mit einem Lächeln im Gesicht sagte er noch sanft zu ihr: „Für dich, meine Geliebte. Alles nur für dich!“ Dann setzte er sich das scharfe Messer an die Kehle und ließ die Klinge quer durch sein Fleisch fahren. Ein gurgelnder Laut ertönte und sein warmes Blut ergoss sich über ihren nackten Leib. Entsetzt schrie sie laut auf, als er auf ihr zusammenbrach. Sein todgeweihter Oberkörper kam auf ihr zum erliegen und die roten Rinnsaale verteilten sich weit über ihre Haut und auf dem Laken. Blutverschmiert und panisch kroch sie schnell unter ihm hervor. Wie gelähmt stand sie nun neben dem Bett und starrte ihren Mann an. Ihr Herz raste und ihre Atemzüge überschlugen sich in ihrem Hals. Erst nach einigen Sekunden des Schreckens realisierte sie wirklich, was er gerade getan hatte und stürzte sich hemmungslos schluchzend auf seinen leblosen, blutüberströmten Körper. Weinend umklammerte sie ihn, wissend, dass nun alles vorbei war.

Die Nachbarn hatten natürlich ihre entsetzten Schreie gehört und die Polizei gerufen. Sie wussten sofort, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Den Beamten bot sich ein grausiger Anblick, als sie das Zimmer stürmten. Die Frau stand zitternd, schniefend und voller Blut in einer Ecke des Raumes und stierte verzweifelt auf den Leichnam. Doreen war hin und her gerissen. Einerseits wollte sie Ihren Mann nicht verlassen, andererseits graute es sie bei dem Anblick seines entstellten Körpers. Schnell legten die Polizisten eine Decke um ihre nackten Schultern und führten sie nach draußen, weg von diesem schicksalhaften Ort und dem schrecklichen Geschehen, das ihr Leben völlig umkrempeln würde.

Die gleichzeitig herbeigeeilten Sanitäter konnten nur noch den Tod des Mannes feststellen und hüllten den Leichnam in einen schwarzen Sack. Draußen trugen sie ihn an ihr vorbei und deponierten ihn im Krankenwagen. Alles schien völlig irreal und zog wie ein Film an ihr vorbei. Da es sich um einen nicht natürlichen Tod handelte, versuchten die Polizisten nun Doreens Aussage aufzunehmen, auch wenn das in diesem Moment eine Zumutung zu sein schien. Schluchzend und stotternd erklärte sie ihnen, was alles geschehen war, ohne dass sie es eigentlich wirklich begriff.

„Können sie erst einmal bei Bekannten oder Verwandten unter kommen?“, fragte schließlich einer der Beamten. Doreen schüttelte den Kopf. Sie hatten keine Verwandten in der Nähe. Überhaupt, gab es nur wenige entfernte Familienmitglieder, mit denen sie sporadisch Kontakt pflegte. Die Familien waren zerrüttet und zerstritten und über die Jahre waren die Verhältnisse immer angespannter geworden. Eine Polizistin schlug letztlich vor: „Wir können Sie gern auch in ein Wohnheim bringen, damit Sie erst einmal ein wenig Abstand zu dieser Sache bekommen und wir stellen Ihnen auf jeden Fall eine psychiatrische Betreuung zur Seite. Sind Sie damit einverstanden?“ Verstört nickte Doreen und ließ sich kraftlos auf den Rücksitz des Polizeiautos fallen.

Die Nacht verbrachte sie in einem betreuten Wohnheim für misshandelte Frauen und unterhielt sich lange mit dem diensthabenden Seelsorger. Die einzelnen übrigen, nächtlichen Stunden waren unruhig und wenig erholsam. Sie konnte nicht glauben, dass Jeff sie auf diese Weise verließ. Hätten sie ihre Probleme denn nicht auch anders lösen können, wenn sie nur mehr miteinander gesprochen hätten? Sie machte sich solche Vorwürfe, dass er das wegen ihr getan hatte, und schon am nächsten Morgen kehrte sie aufgewühlt zu ihrem Haus zurück. Es hätte doch nie so weit kommen müssen. Warum brachte er sich gleich um? Nur weil sie Kinder wollte und er ihr keine schenken konnte? Vorsichtig betrat sie das Wohnzimmer und sah sich traurig um. Alles erschien plötzlich so fremd und eine innere Taubheit machte sich bei ihr breit. Schweren Herzens ging sie nach Oben und lugte zurückhaltend ins Schlafzimmer, wo die letzte Nacht ihre schreckliche Wendung genommen hatte. Mit Tränen in den Augen musste sie sich schnell wieder abwenden. Das blutige Bild wollte nicht aus ihrem Kopf weichen und noch immer verstand sie nicht, was ihren Mann nur zu solch einer grausamen Tat veranlasst hatte. Nie hatte sie auch nur daran gedacht, dass er eventuell unter Depressionen litt. Im Gegenteil, er wirkte stets ausgeglichen und fröhlich.

Völlig fertig mit den Nerven schlich sie in Jeffs Büro, wo er oft Nächte lang gesessen und irgendwelche Sachen ausgearbeitet hatte. Ihre Hand streifte über die Tischplatte. Immer dachte sie, es würde sich nur um seinen Job drehen. Ja, er war in letzter Zeit merklich erfolgreicher geworden, doch zu welchem Preis? Allmählich bekam sie Zweifel daran, ob er wirklich glücklich mit dem gewesen war, was er tat. Die Geheimnistuerei bei neuen Projekten, die Geschäftsreisen und Meetings bis in die Nacht hinein, hatten ihn zunehmend von ihr entfernt. Oder steckte etwas Anderes dahinter, eine andere Frau vielleicht? Sie hatte seine angeblichen Geschäftspartner auf einer kleinen Firmenfeier kennen gelernt und bei dem ein oder anderen wirklich kein gutes Gefühl gehabt. Vor allem seine Chefin schien ihn sehr für sich zu beanspruchen. Vielleicht hatte diese einfach nur mehr von ihm gewollt, als ihr zu stand, und ihn deshalb nie pünktlich heim gehen lassen? Entmutigt schluckte Doreen ihre Ängste hinunter und begann ziellos auf dem Schreibtisch herum zu kramen. Alles war so vertraut und doch so ungewohnt. Da fiel ihr plötzlich ein Brief in die Hände, der eindeutig an sie gerichtet war. Mit zitternden Fingern öffnete sie den Umschlag und begann Jeffs Abschiedsworte zu lesen.

„Liebste Doreen,

in den letzten Monaten habe ich dich, obwohl ich dich über Alles liebe, zunehmend vernachlässigt. Ich hoffe, du kannst mir diese Frevelhaftigkeit verzeihen. Es tut mir so leid, dass ich dir das angetan habe und ich bin überzeugt, dass du etwas viel Besseres verdient hast, als mich.

Wenn du diese Zeilen liest, bin ich sicherlich schon an einem anderen Ort und ich möchte dir nun erklären, wie es dazu kam und dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst.

Vor anderthalb Jahren, kurz bevor ich endlich beruflich erfolgreicher geworden bin, habe ich eine Organisation kennen gelernt, die mich wohlwollend in ihre Reihen aufnahm. Schon immer, vielleicht kannst du das nachvollziehen, habe ich nach höheren Zielen gestrebt und Möglichkeiten mich selbst zu verwirklichen. Dies war meine Chance. Sie zeigten mir, wie man sich durchsetzt und behauptet und ich ließ mich in ihren Bann ziehen. Zunächst hatte ich keine Ahnung, dass es sich um eine satanistische Sekte handelt, doch schon bald merkte ich, dass alles viel leichter von der Hand ging, wenn man IHN in sein Leben ließ. Also entschied ich mich, dabei zu bleiben und vollwertiges Mitglied der Organisation zu werden.

Ich möchte dir nun gestehen, dass zwei Drittel meiner Geschäftsreisen nicht meinem Job galten, sondern allein der Ausübung meiner neu erworbenen Religion. In festgeschriebenen Ritualen fand ich meine Erfüllung darin, IHM zu dienen. Ich bereue nun aber, dass ich dich nie in diese dunkle Seite meiner Seele einweihte und hoffe, du kannst mir auch diesen Fehltritt verzeihen.

In den letzten Monaten allerdings, spürte ich zunehmend deine Unzufriedenheit und musste feststellen, dass ich nicht ganz unschuldig daran war. Ich habe mich in letzter Zeit so auf die materielle Seite des Daseins konzentriert, dass ich mich selbst und vor allem dich völlig verraten habe. Natürlich weiß ich, dass du es nie zugeben würdest, wenn deine Wünsche nicht erfüllt werden, zu engelsgleich ist dein Wesen, doch ich konnte es fühlen, dass dir etwas fehlt. Ich verzweifelte an diesem Gedanken, nicht der Mann zu sein, den du verdienst. Denn eigentlich warst du immer der Mittelpunkt meines Lebens gewesen und nun hatte ich dich so leiden lassen. Aber im Grunde wusste ich, wie ich dich richtig glücklich machen kann, damit du mir verzeihst, und es war mir egal, welchen Preis ich dafür bezahlen müsste.

Ich fand eine Möglichkeit, deinen größten Traum, endlich ein eigenes süßes Kind zur Welt zur bringen und ein schönes familiäres Leben zu führen, zu erfüllen. Doch mit mir an deiner Seite, würde das, aufgrund meiner zweifelhaften Machenschaften, wohl nie möglich sein. Deshalb beschloss ich, das einzig Richtige zu tun. Lange habe ich mich mit meinem Zirkel beraten und ein Ritual entwickelt, wie ich dir deinen größten Wunsch erfülle und zugleich meine Schulden dir gegenüber wieder gut mache. Leider gab es für mich nur noch diese einzige Option und ich hoffe doch sehr, dass mein Meister mein Opfer zu würdigen weiß und dich segnet.

So lebe ich in unserem Sprössling weiter und du kannst endlich ein  neues, schöneres, glücklicheres Leben beginnen.

Es fiel mir natürlich nicht leicht, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dich frei zu geben. Doch ich habe mich darauf besonnen, was es eigentlich bedeutet zu lieben und für mich ist es das Wichtigste, dich glücklich zu sehen, auch wenn das meine körperliche Trennung von dir beinhaltet.

Bitte sei nicht allzu traurig. Ich weiß, du bist stark genug und ich werde im Geiste immer an deiner Seite sein. Liebe unser Kind und sei ihm oder ihr eine gute Mutter. Ich bin mir sicher, wir werden uns wieder sehen, denn kein Abschied ist für immer. Damit umarme ich dich noch einmal ganz herzlich und hoffe, mein Geschenk und meine Aufopferung tragen Frucht.

In tiefster Liebe, Dein Jeff.“

Mit Tränen in den Augen und Schwierigkeiten zu Atmen, brach sie auf dem Schreibtischsessel zusammen. Bitterlich weinend legte sie ihren Kopf auf den Brief ihres toten Mannes. Er hatte sein Leben geopfert, damit sie endlich einen ihrer größten Wünsche erfüllt bekam. Sie war sich nicht sicher, ob sie deshalb ein schlechtes Gewissen haben sollte. Er hatte sich für sie umgebracht, was ihr völlig irrsinnig erschien. Gleichzeitig erschlug sie aber auch der Gedanke, dass ihr Jeff tatsächlich zum Satanisten geworden war, ohne, dass sie nur eine Kleinigkeit davon geahnt hatte. Sie hatte nichts gemerkt und das ließ sie erzittern. Wie hatte er das nur so gut vor ihr verbergen können? Vielleicht hatte er ja noch mehr Geheimnisse gehabt? Und wer waren wohl die Leute, die ihn dazu gebracht hatten? Vielleicht kannte sie die ja auch? Eventuell war es sogar seine Chefin, diese Evelyn, gewesen? Durfte sie ihn nicht haben, sollte ihn keiner kriegen? Es waren zu viele Fragen, die ihren Kopf zum Platzen brachten und deren Antworten sie wohl nie erfahren würde. Das schlechte Gefühl in ihrer Magengegend weitete sich aus und schnell lief sie ins Bad, um sich zu übergeben.

Langsam wusste sie nicht mehr, was sie glauben und ob sie nun weinen, oder in die Zukunft blicken sollte. Alles war so verwirrend, überwältigend und gleichzeitig so deprimierend. Sie konnte einfach nicht länger in diesem Haus bleiben, denn dann würde sie sich, über kurz oder lang, wahrscheinlich ebenfalls selbst umbringen. Also beschloss sie kurzerhand weg zu fahren. So weit weg, wie sie es für nötig und richtig hielt.