Psychokalypse

Leseprobe

Zurück in der Burg fiel ihm ein, dass er sich doch schon einen Tag lang nicht mehr bei Sheryl gemeldet hatte und erledigte das umgehend. Wieder schickte er ihr unter falschem Namen eine Email: „Ich weiß, wer du bist. Ich weiß, wo du wohnst. Und ich werde dich holen kommen!“ Dann sah er erst einmal kurz nach Natascha.

Sie saß zusammengekauert auf dem Sofa in ihrem privaten Schlafzimmer und zappte durch die Nachrichtenkanäle. Victor blieb im Türrahmen stehen und musterte sie aufmerksam. Die vielen Verbände und Pflaster zeugten noch von den Folgen der schicksalhaften Begegnung in diesem verfluchten Raum, den er eigens hatte bauen lassen. Sie würdigte ihn keines Blickes. „Helfen die Schmerzmittel?“, fragte er leise. Eine Träne glitzerte feucht in ihrem Augenwinkel und sie schwieg. „Ich kann Sasch holen, damit er dir was Besseres gibt.“, sagte er weiter. Endlich sah sie ihn an und antwortete resigniert: „Mach was du denkst. Das tust du doch sowieso. Ich bin dir doch völlig egal.“ „Das stimmt doch gar nicht.“, konterte Victor säuerlich. Doch sie hatte recht, starrte wieder in den Fernseher und erwiderte nur: „Ich werde Narben zurückbehalten. Du hast mich verstümmelt.“ Jetzt fühlte er sich wirklich schlecht. Er hatte nicht gedacht, dass ihm solche Aussagen von ihr nahe gehen konnten, aber es kam so unerwartet und so tief resigniert herüber, dass sich ihm der Magen leicht zusammenzog. Er hatte schon fast ein schlechtes Gewissen, eine Regung, die er gar nicht von sich kannte. Doch so abgebrüht wie er war, würde das nicht lang anhalten. Vielmehr musste er sich jetzt etwas einfallen lassen um sie wieder aufzumuntern. Niemand würde eine Akteurin sehen wollen, die einfach nur alles über sich ergehen ließ. Die Zuschauer wollten Interaktion, sonst könnte er es ja auch mit einer Schaufensterpuppe treiben. „Es tut mir aufrichtig leid.“, flüsterte er in den Raum und fügte an: „Ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin. Ich sollte mehr darüber nachdenken was das Publikum verlangt und nicht leichtfertig ihren Wünschen nachkommen. Ich hoffe, du glaubst mir und nimmst mir das nicht zu übel. Ich war vom Geld geblendet und ich kann nicht versprechen, dass das nicht noch einmal vorkommen wird. Also versuch damit fertig zu werden und sieh nach vorn. Du wirst wieder gesund und dein Konto füllt sich mit Kohle. Alles wird wieder gut.“

Damit hatte er alles gesagt und verließ wieder ihr Zimmer. Denn er hatte jetzt wichtigere Dinge zu tun und wollte die Erledigung seines Auftrags nicht unnötig in die Länge ziehen. Also begann er ein wenig zu recherchieren um wen es sich bei der Zielperson handelte und wie er an diesen Mann heran käme ohne zu viel Wirbel zu machen. Dieser Mihail Fedoreac war nicht gerade völlig unbekannt und scheinbar eine wichtige Person in der hiesigen Partyszene. Der Veranstalter verzauberte immer wieder die Möchtegern- Prominenz mit seinen extravaganten Events. Es würde also nicht ganz einfach sein ihn unbemerkt aus dem Verkehr zu ziehen und was immer dieser Kerl auch wusste, würde Victor nur noch mehr in die Zwickmühle bringen. Er bekam ein ungutes Gefühl in der Magengegend wenn er daran dachte sich so gezwungenermaßen in die Öffentlichkeit zu begeben und überlegte sich ernsthaft ob er den Job nicht einfach sausen lassen und die Konsequenzen tragen sollte. Andererseits hatte er lang auf eine entsprechende Herausforderung gewartet, die endlich mal wieder seinen Grips und seine Kreativität auf einer anderen Ebene ansprach. Sollte er es wagen diese Aufgabe perfekt über die Bühne zu bringen und damit Gefahr laufen noch mehrere dieser Aufträge zu bekommen? Er würde unweigerlich wieder mit der Polizei in Konflikt geraten wenn er auch nur einmal etwas unvorsichtiger vorginge. War ihm der Nervenkitzel dieses Risiko wert? Irgendwie schon. Ein wenig hatte er das Gefühl, dass er mit Natascha auf einen Abgrund zusteuerte, der das Aus seiner kleinen Internetidee bedeuten würde. Und mit diesen neuen Kontakten hatte er die Möglichkeit jetzt schon ein Fangnetz zu bauen um sein Geschäft abzusichern. Nicht dass er es wirklich nötig hatte aber er war schon immer jemand gewesen, der einen Plan für die Zukunft brauchte.

Nach ein wenig mehr Sucherei hatte er herausgefunden wann Mihail seinen nächsten Event durchzog. Es sollte eine Art Kunstausstellungseröffnung sein, die Victor nutzen wollte um an ihn heran zu kommen. Er hatte zwar keine Ahnung von Kunst, war sich aber sicher, dass er mit seinem exzentrischen Äußeren und ein wenig aufgesetztem Gefasel gut den wohlhabenden Interessenten mimen konnte. Schon am kommenden Freitag sollte es so weit sein und Victor musste sich noch schnell eine Einladung organisieren. Also wählte er die Nummer der Galerie und ließ einen seiner Wachmänner dort anrufen und sich als Victors Sekretär ausgeben. „Herr Kruganow ist ein großer Fan von Zaharieis Arbeit und kurzfristig hat es sich ergeben, dass er doch am Freitag zur Eröffnung dieser wunderbaren Ausstellung erscheinen kann. Er war schon so bestürzt gewesen, dass er den Termin verpassen würde und nun hat seine andere Verabredung abgesagt und ich bitte Sie höflichst ihn auf die Gästeliste zu setzen. Er würde sich enorm freuen und sicherlich ist auch eine angemessene Dankesspende für ihre wunderbare Galerie drin. Können Sie mir diesen Gefallen tun?“ Und natürlich konnten sie ihm diesen Gefallen tun. Auch wenn Victor kein Freund der Öffentlichkeit war, so hatte es sich dennoch in gewissen Kreisen herumgesprochen wer die Burg außerhalb der Stadt gekauft hatte und dass dieser Jemand nicht gerade nach kleinen Tieren trat. Für die Galeriebetreiber würde es ein Gewinn sein wenn sie Victor Kruganow einen Gefallen tun und ihn um ein paar Tausender erleichtern konnten. Außerdem brachte er nicht nur Geld sondern auch Ansehen in die Kasse und der Künstler Zahariei dürfte sich freuen einen so wohl betuchten Gast in seiner Ausstellung zu begrüßen.

Jetzt musste sich Victor nur noch bemühen, herauszufinden was dieser Künstler eigentlich so tat und ein paar Dinge über ihn lernen damit er nicht als Hochstapler enttarnt wurde. Ohne größere Anstrengungen bekam er ein paar der Bilder und Skulpturen im Internet zu sehen und konnte sich immer weniger vorstellen, dass wirklich jemandem diese Kunst gefiel, aber es war schräg und deshalb wollte er sich entsprechend anpassen. Und um die Illusion perfekt zu machen, musste Natascha als seine Begleitung mit.

Sheryl dagegen saß betreten vor ihrem Laptop und starrte auf die Zeile, die ihr der Unbekannte geschrieben hatte. Sie hatte bisher noch keine Fortschritte bei ihrer Suche erzielt und diese Nachrichten machten sie fertig. Täglich erhielt sie nunmehr eine Mitteilung von Jemandem, den sie nicht kannte und überlegte schon ob sie nicht einfach ihren Email- Account löschen und sich einen ganz neuen zulegen sollte. Bisher hatte sie es nur ein oder zwei Male geschafft eine Nachricht zurück zu schreiben und wusste noch nicht recht wie sie darauf reagieren sollte. Natürlich würde diese Person anonym bleiben und ihr nicht verraten, wer sie ist. Und trotzdem schrieb sie immer wieder die Frage: „Wer bist du?“, auch wenn sie sich albern dabei vorkam. Es war schon mitten in der Nacht und sie hatte bereits ein paar Gläser Wein getrunken als sie sich entschloss anders vorzugehen und besser zu schreiben: „Ich weiß jetzt, dass du es bist! Und ich werde dich finden und dich der Strafe zuführen, die du verdient hast.“ Feuer mit Feuer bekämpfen. Wieso sollte sie sich fertig machen lassen, wenn sie genau so zurück drohen konnte?

Victor war auf dem Sofa eingenickt als er diese Email bekam und sah verschlafen auf den Monitor. Als er verstanden hatte was sie schrieb, musste er lachen. Dann legte er sich eine neue Email- Adresse zu und schickte ihr eine weitere Mitteilung. „Dann komm und hol dich!“ Angespannt sah Sheryl auf den Bildschirm als sie eine Nachricht von Sheryl Sneider erhielt und ihr stockte der Atem. War das nur ein schlechter Scherz? Oder begann sie allmählich den Verstand zu verlieren? „Dann komm und hol dich!“, las sie leise vor. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie klappte schnell den Laptop zusammen um die Nachricht nicht mehr sehen zu müssen. Sie konnte schon seit Tagen nicht mehr richtig schlafen und Dave bemerkte, dass es ihr zunehmend schlechter ging. Aber so lange sie nicht mit ihm sprach, so lange wusste er auch nicht wie er ihr helfen sollte. Nach zwei weiteren Gläsern Wein dämmerte sie endlich ein.

Nach seiner letzten Email an Sheryl ging er dann doch ins Bett. Wenn er daran zurück dachte, dass er früher kaum geschlafen hatte, bekam er wieder das Gefühl langsam alt zu werden. Aber es war gut so, denn schon am nächsten Tag stand die Galerieeröffnung an und er musste unbedingt in seine Rolle als Kunstliebhaber schlüpfen. Und dafür musste er ausgeruht sein.

Natascha spielte nur ungern mit. Sie war in letzter Zeit sehr deprimiert und er hatte sie auch schon ewig nicht mehr lächeln sehen. Dafür sah sie in dem sündhaft teuren Kleid phänomenal aus und er in seinem pechschwarzen Smoking wahrhaft wie ein reicher Snob. Seine Haare hatte er in einem strengen Zopf nach hinten gebunden während Natascha eine Hochsteckfrisur und glitzernde Ohrringe trug. Die gruseligen Silberringe ließ er sich nicht nehmen und behielt auch alle Piercings drin. Natascha musterte ihn skeptisch und bemerkte: „Meinst du nicht, dass wir zu sehr auffallen?“ Victor grinste sie an, fuchtelte mit den Händen in der Luft und antwortete beschwingt: „Heute sind wir ein ganz besonderes Paar. Du bist die bezaubernde Begleitung eines exzentrischen, weltfremden Kunstliebhabers, der nicht weiß wie er seine Kohle sonst noch ausgeben soll. Wir sind legendär! Zumindest sollten wir so tun als ob. Die Leute müssen sich darum reißen mit uns gesehen zu werden. Obwohl, eigentlich mag ich den Trubel nicht, ich setz eine Sonnenbrille auf und mach lieber einen auf unnahbar. Das liegt mir wohl eher.“ Sie schüttelte nur den Kopf und wusste nicht was das Ganze eigentlich sollte. Aber dieser Abend brachte wenigstens ein wenig Ablenkung von ihrem eigentlichen tristen Alltag und sie wollte es unbedingt genießen bis sie in ihren goldenen Käfig zurück musste. Ob ihm jemand dieses Getue abkaufte? Sie war sich da nicht ganz sicher und er auch nicht. Doch einen Versuch war es wert. Dann zog er aus seiner Jacketttasche eine Art Halsband. Es war schwarz und mit kleinen Brillianten besetzt, die im Licht funkelten. Zunächst dachte Natascha es wäre ein einfaches Schmuckstück, doch als er ihr es angelegt hatte und noch immer dicht hinter ihr stand, mit den Händen auf ihren Schultern, erläuterte Victor die wahre Bedeutung. „Dieses Halsband ist nicht einfach nur eine Verzierung sondern ich kann dir damit kräftige Elektroschocks verpassen, solltest du dir überlegen Dummheiten zu machen. Ich trage einen Auslöser bei mir und werde nicht davor zurückschrecken diesen auch zu benutzen. Alles klar?“ Natascha nickte ängstlich. Sie konnte zwar nicht glauben, dass es diese Technik wirklich gab, aber sie traute es ihm durchaus zu und wollte es nur ungern ausprobieren.

Als sie mit der fetten Strech- Limo vor dem Eingang der Galerie hielten, waren sofort alle Blicke auf sie gerichtet. Irgendwelche Klatschpresseleute rissen sich um gute Plätze und Victor spitze seine Ohren. Ein paar Fetzen konnte er sogar vernehmen. „Der zurückgezogen lebende, öffentlichkeitsscheue und etwas exzentrische Geschäftsmann Victor Kruganow beehrt heute zum ersten Mal die Galerie um die Ausstellung seines Lieblingskünstlers Zahariei zu besuchen. Selbst der angesagte Veranstalter Mihail Fedoreac war von dem plötzlichen Auftauchen des Millionärs überrascht.“ Victor musste sich zusammenreißen da er sich vor Lachen kaum halten konnte. Dennoch war ihm die Aufmerksamkeit der Presse etwas unheimlich, wollte er doch nicht, dass sein Gesicht auf den Titelbildern der Zeitungen erschien. Nicht umsonst galt er als öffentlichkeitsscheu. Eine breite, schwarze Sonnenbrille verdeckte glücklicherweise sein halbes Gesicht als ein kleines Blitzlichtgewitter los brach. Schnell, aber nicht hastig, betraten sie die Galerie. Drinnen angekommen besorgte er Natascha und sich erst einmal ein Glas Champagner bevor sie durch die Ausstellungsräume schlenderten. Vor einer besonders hässlichen Statue blieb er dann stehen und flüsterte ihr zu: „Ich frag mich nur, wer so einen Schrott wohl kauft.“ Plötzlich sprach ihn jemand von der Seite an: „Sie ist wunderschön, nicht wahr?“ Victor prustete in seinem Sekt und musste nun eine geistreiche Antwort bringen. „Ja, die Komposition aus Form und Farbe ist einfach einzigartig.“ Damit hatte er irgendwie auch recht nur meinte er es nicht so positiv, wie es vielleicht klang. Dann drehte er sich um und nahm die Sonnenbrille ab. Der Mann streckte ihm die Hand hin und stellte sich höflich vor: „Mein Name ist Mihail Fedoreac, ich bin der Galerist. Und Sie sind Victor Kruganow, richtig?“ Victor lächelte ihn an und antwortete: „Sehr nett sie kennenzulernen. Ich sehe, Sie kennen Ihre Gästeliste und wenn ich Ihnen noch meine bezaubernde Partnerin Natascha vorstellen darf?“ Der Galerist hauchte einen Kuss auf Nataschas Handrücken bevor er weiter sprach: „Wir waren sehr überrascht als wir von Ihrem Erscheinen hörten. Ich wusste nicht, dass Sie ein Fan von Zaharieis Kunst sind.“ „Das mag sein, aber wissen Sie was?“, antwortete Victor höflich und flüsterte dann: „Ich bin heute nicht nur zum Plaudern hier, ich habe auch vor zu investieren.“ „Na dann folgen Sie mir doch in die Lounge und sie verraten mir, welches Stück Ihnen am besten gefällt.“, eröffnete Mihail freundlich. Eigentlich wollte Victor kein einziges dieser angeblichen Kunstwerke sein Eigen nennen, aber um Mihails Vertrauen zu gewinnen, musste er wohl etwas kaufen. Vielleicht würde das Zeug irgendwann ja doch einmal wertvoll und bis dahin konnte er so ein hässliches Ding ja auch in den Keller stellen. „Bevor ich mich nun aber für eines dieser Werke entscheide, möchte ich doch gern den Schöpfer dahinter persönlich kennenlernen.“, forderte er und folgte dem Galeristen. „Aber natürlich.“, antwortete Mihail freundlich und sie betraten gemeinsam den schick möblierten Raum. Auf einem der Sofas saß Zahariei und unterhielt sich angeregt mit einem anderen Gast. Im Hintergrund dudelte leise Musik und es gab Häppchen und mehr Sekt für alle. Natascha lief stumm neben den Männern her und nahm sich ein neues Glas um es anschließend sofort zu leeren. Mihail eilte schnell zu seinem Schützling und holte ihn zu Victor und Natascha herüber. Höflich gaben sich alle die Hand und nach ein paar Runden Smalltalk kamen sie auch schon zum geschäftlichen Teil. „Was ist Ihr Lieblingswerk, Zahariei?“, wollte Victor gern wissen. Der junge Mann, vielleicht gerade einmal achtzehn oder neunzehn Jahre alt, zeigte genau auf die hässliche Statue und Victor fluchte innerlich. Äußerlich wirkte er dagegen begeistert und sagte überschwänglich: „Wie traurig wären Sie darüber wenn ich Ihnen gerade dieses Stück abkaufe? Alleine zu wissen, dass es Ihr Lieblingskunstwerk ist, würde mich zu einem sehr stolzen Besitzer machen.“ Der Galerist klatschte schon fast in die Hände, wähnte er seine Provision doch erheblich steigen, und bot sofort an: „Wenn Sie das wirklich möchten, können wir gern in das nebenan liegende Büro gehen und den Kaufvertrag fertig machen.“ Etwas überrumpelt ließ sich Victor mit ziehen und unterschrieb nur widerwillig das Papier als er den Verkaufspreis las. Doch es musste sein wenn er Mihails Vertrauen erkaufen wollte. Und damit war es besiegelt. Ab sofort besaß er Kunst und war der beste Freund des Galeristen, der bestimmt wenigstens zehn Prozent des hübschen Sümmchens bekam. Doch der Abend war noch nicht vorbei. Sie mussten noch ein Weilchen bleiben damit Victors Plan aufging.