Koma

Schon seit Tagen irre ich umher, gefangen in der Dunkelheit. Nach jedem Tunnel, den ich durchquere, eröffnet sich mir nur eine weitere kahle Höhle.

Die Finsternis ist unergründlich und einsam taste ich mich voran. Nur meine Schritte hallen von den kargen Wänden wieder und das Schleifen meiner Knie, wenn ich auf allen Vieren durch den Dreck krieche, um einen weiteren Durchgang des Systems zu erkunden.

Wo bin ich hier nur gelandet? Den Vorhof der Hölle möchte ich es nennen.

Ich zehre von meinen eigenen Exkrementen, frisst mich der Hunger doch langsam von Innen her auf.

Aber unaufhörlich suche ich nach dem Ausgang aus diesem Alptraum.

Ich schmecke das getrocknete Blut meiner zerrissenen, ausgetrockneten Lippen und eine lähmende Taubheit bohrt sich durch meine Glieder.

Kälte, Hunger, Durst und Einsamkeit nagen an meinem Verstand und ich warte auf den einkehrenden Wahnsinn.

 

Die Instrumente geben ein monotones Piepsen von sich. Die Geräusche der Beatmungsmaschine wirken fast schon narkotisierend. Auf dem Bildschirm flackert eine grüne Linie und zeichnet unbeeindruckt die Bewegungen des Herzmuskels nach. Kanülen stecken tief in den Venen und Schläuche in den Körperöffnungen. Sie kontrollieren das Leben, dosieren es vorschriftsmäßig und impfen es programmiert ein.

Jedes Gerät hat seine Bestimmung, um diesen beschädigten Körper lebendig zu halten.

Die Gewehrkugel hatte man aus dem Hirn entfernen können und noch sind letzte Zuckungen erkennbar.

Routiniert überprüft eine Schwester die Werte und dokumentiert sie sorgfältig.

 

Zusammengerollt liege ich am Boden einer weiteren Höhle. Sie wird mein Grab werden. Ich konnte das Labyrinth des Minotaurus nicht bezwingen. Mein schwerer Atem durchbricht die Stille und nur meine Gedanken leisten mir Gesellschaft. Jedes Zeitgefühl ist dahin und in dieser erdrückenden Stille und Finsternis beginne ich allmählich Gestalten zu sehen und Geräusche zu hören, die mich langsam panisch werden lassen.

Sie kriechen näher, ich kann sie spüren. Entschlossen schlage und trete ich um mich. Ein lauter Schrei löst sich aus meiner Kehle. Sein Echo pflanzt sich durch die unendlichen Gänge des Systems hinfort und versiegt schließlich im Nirgendwo der Dunkelheit. Stille.

Mein Herz klopft hörbar.

Resignierend bleibe ich liegen. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob meine Augen offen oder geschlossen sind. Ich zwinkere angestrengt und merke keinen Unterschied.

Dieser Ort ist meine Strafe. Die Strafe für meine Unachtsamkeit. Und dabei war alles so gut geplant gewesen.

 

Während die Nährlösung langsam in die Blutbahn sickert, stellt ein Arzt die Maschinen neu ein. Der Patient liegt regungslos auf der Liege, sein Bewusstsein irgendwo zwischen Leben und Tod. Eigentlich sollte es ihn nicht interessieren, wer dieser Mann war, doch das Gesicht war in den letzten Tagen oft genug über die Fernsehbildschirme geflackert.

Zum Beenden der Geiselnahme hatte die Polizei Scharfschützen hinzugezogen und ihn mit einem gezielten Schuss niederstrecken lassen. Doch zu aller Überraschung waren noch Lebenszeichen erkennbar und plötzlich wurde der Täter zum Opfer. Sie waren dazu verpflichtet, alles für seine Genesung zu tun, egal, welche Vorgeschichte es gab. Jetzt war er nur noch ein Mensch, auch wenn er unmenschliche Dinge verbrochen hatte. Sie durften ihn nicht einfach sterben lassen, auch wenn sie es insgeheim wollten.

 

Die Dämonen meiner Vergangenheit holen mich nun ein. Im Dunkel erscheinen mir ihre Gesichter. Die ausgezehrten Wangen und eingefallenen Augen zeugen von den Entbehrungen, mit denen ich sie konfrontiert hatte. Tagelang ließ ich sie hungern, Wasser gab es nur rationiert. Sterben auf Raten. Doch jeder, der es unter meiner Herrschaft geschafft hätte, wäre um ein Vielfaches gestärkt daraus hervor gegangen. Sie waren meine Armee, meine Elite und so danken sie es mir nun. Gefangen im Labyrinth meiner eigenen Gedanken, suche ich nach einem Ausweg aus ihnen. Mein Kampfgeist ist noch nicht erloschen. So lange ich noch atme, werde ich weiter die Gänge durchforsten, bis ich endlich eine Tür finde.

 

Nachts ist das Zimmer fast unbewacht. Eine Schwester kontrolliert erneut seine Werte. Eine halbe Stunde später zeichnet sich nur noch eine Nulllinie auf dem Monitor ab.